Zeitenwende nach der TKG-Novelle
Praktikable Lösungen für eine gesetzeskonforme Internet- und TV-Versorgung sind möglich
Die Novelle des Telekommunikationsgesetzes trat am 01. Dezember 2021 in Kraft. Damit hat das jahrelange Ringen um die Neuausrichtung der TV- und Internetversorgung für Millionen Mieterinnen und Mieter ein Ende gefunden. Nachdem sich Wohnungswirtschaft und Kabelnetzbetreiber von dem ersten Schock erholt haben, befinden sich beide Seiten mitten in der Suche nach praktikablen Lösungen. Die sind komplex aber machbar. Und es gibt für die Wohnungswirtschaft deutlich mehr Optionen und Chancen als es die etablierten Kabelunternehmen und auch die Verbände suggerieren.
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Das Erdbeben kam mit Ansage. Der globale Trend zur Deregulierung sogenannter „natürlicher Monopole“ (Strom, Gas, Eisenbahn, Telekommunikation) dehnte sich - wie so häufig - über eine Rahmenverordnung der Brüsseler EU-Kommission auch nach Deutschland aus. Ähnlich wie bei den leitungsgebundenen Energieträgern und der Schiene war es also nur eine Frage der Zeit, wann das etablierte und wohl auch bewährte System der Koaxialnetz-basierten Signalversorgung in der gewerblichen Wohnungswirtschaft erschüttert werden würde. Seit der Weiterveräußerung der Breitbandkabelnetze im Zuge der Privatisierung der Deutschen Bundespost Anfang der 1990er Jahre beruhte das System auf den folgenden Säulen:
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in den allermeisten Fällen Abrechnung der Fernseh- und Radiogrundversorgung über die Betriebskosten im Rahmen des Sammelinkassos
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Anschluss- und Abnahmezwang der Grundversorgung geregelt durch den Mietvertrag
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sehr günstige Gebühren für die Grundversorgung
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Einzelvertragliche „Upgrades“ der Leistungspalette (mehr Programmpakete, höhere Bandbreite, Telefonie) zwischen Mietern und Kabelnetzbetreibern
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Abwehr individueller Parabolantennen
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Aufgrund des technologischen Wandels verkehrten sich diese ursprünglich vorteilhaften Rahmenbedingungen in ihr Gegenteil bzw. erzeugten politisch ungewollte Kollateralschäden. Dazu zählten u.a.:
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eingeschränkte Wahlfreiheit der Mieter durch die Kuratierung (Vorauswahl aus einem größeren Fundus) von TV- und Radioprogrammen der Kabelnetzbetreiber bei den sogenannten „Programmpaketen“
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keine Wahlfreiheit der Mieter, mit weiteren breitbandigen Signallieferanten Lieferverträge abzuschließen (außer über den leistungsmäßig beschränkten VDSL-Zugang des Telefonkabels)
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zwangsweise Erhebung der Grundversorgungsgebühr, auch wenn die Grundversorgung nicht genutzt oder abgelehnt wird
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sehr verzögerte Umrüstung auf Glasfasernetze (insbesondere FTTH, also Glasfaser innerhalb der Gebäude) wegen der immanenten Abschreibungslogik der alten Koaxialnetze: abgeschriebene Netze bringen aus Sicht der Kabelnetzbetreiber die höchsten Deckungsbeiträge und sollen deshalb möglichst lange genutzt werden
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deshalb flächendeckende Verzögerung bei der Umstellung auf die Zukunftstechnologie Glasfaser (wobei die gravierenden Verzögerungen durch das Vectoring der Kupferdoppeladern der Telekom in der Gesetzesbegründung schamhaft verschwiegen werden)
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Vor diesem Hintergrund beruht die TKG-Novelle auf den folgenden Grundpfeilern:
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strikte Trennung von Leitung (Infrastruktur) und Inhalten (Signalen, Programmen)
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zeitliche und monetäre Limitierung der Refinanzierung von Investitionen in neue Glasfasernetze (nicht stringent)
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restriktive Berechnung von Zusatzentgelten für die Mitnutzung der Hausverteilnetze der NE 4 durch Dritte
Die für die WoWi relevanten Bestimmungen der TKG-Novelle
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Das Sammelinkasso der Kabelgrundgebühren wird zum 30. Juni 2024 für Bestandsanlagen, die nach dem 01. Dezember 2021 errichtet werden, abgeschafft. Außerdem kann jede Partei einen vor dem 1. Dezember 2021 geschlossenen Gestattungsvertrag frühestens mit Wirkung ab dem 1. Juli 2024 ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Die Kündigung berechtigt den anderen Teil, keinen Schadensersatz leisten zu müssen (§ 230 Abs. 5), soweit die Parteien für diesen Fall nichts anderes vereinbart haben. Grundsätzlich ist mit der Kündigung der Gestattungs- und Signallieferungsverträge aber kein automatischer Eigentumsübergang verknüpft.
Bestehende Telekommunikationsverträge, die die Grundversorgung zwischen Mieter und Wohnungsunternehmen betreffen, können von den Mietern ab dem 1. Juli 2024 sofort gegenüber den Wohnungsunternehmen gekündigt werden, wenn der Dienst über die Betriebskosten abgerechnet wird (§§71 Abs. 2 i.V.m § 56 Abs. 3). Dieses sogenannten „Opt-Out-Recht“ für Mieter greift, wenn das Mietverhältnis mind. 24 Monate besteht. Wenn der TK-Dienst, z.B. der Internetzugang, Teil der Kaltmiete ist (also nicht als Betriebskosten abgerechnet wird), kann der Mieter ohne Übergangsfrist kündigen (§ 230 Abs. 4).
Neue Telekommunikationsverträge zwischen Mieter und TK-Anbieter dürfen eine anfängliche Vertragslaufzeit von 24 Monaten nicht überschreiten (§ 56, Abs.1). Vor Vertragsschluss besteht für Anbieter die Pflicht, dem Verbraucher auch eine Vertragsalternative mit einer anfänglichen Laufzeit von höchstens 12 Monaten anzubieten (§ 56, Abs. 1). Nach Ablauf der anfänglichen Vertragslaufzeit (12 oder 24 Monate) ist eine Kündigung mit einer Frist von einem Monat jederzeit möglich (§ 56, Abs. 3).
Investition durch Dritte: Glasfaserbereitstellungsentgelt
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Politisch gewollt - und so ist die TKG-Novelle ausgerichtet - ist die Installation kompletter Glasfasernetze innerhalb der Gebäude (FTTH auf der Netzebene 4). Deshalb wurde die Einführung eines „Glasfaserbereitstellungsentgeltes“ beschlossen, die von Dritten (Kabelnetzbetreiber, externen Infrastrukturinvestoren etc.) bis zum 31.12.2027 errichtet werden (§ 72 Abs. 1). Als Ersatz für die wegfallende Betriebskostenumlage können maximal neun Jahre die Vollkosten für diese Netze in einer Höhe bis zu 60 Euro/Jahr/WE, also maximal 540 Euro Gesamtkosten/WE umgelegt werden (§ 72, Abs. 2). Aufwändige Maßnahmen (> 300 Euro) müssen gegenüber den Mietern begründet werden. In jedem Fall müssen drei Alternativangebote nachgewiesen werden, um die Wahl des wirtschaftlichsten Angebots auf Verlangen nachweisen zu können. Für TV-, Radio- und Internetdienste müssen zusätzlich Einzelverträge mit den Mietern geschlossen werden. Welcher Mieter das nicht will, zahlt nur für eine begrenzte Frist das Glasfaserbereitstellungsentgelt. Außerdem müssen diese Netze offen für Dritte sein (Open Access). Der Zugang bis zum Übergabepunkt im Keller muss unentgeltlich gewährt werden.
Zwischenfazit: Betreiber und Wohnungsunternehmen werden also bei diesem Refinanzierungsweg verpflichtet, offene Glasfaser basierte Internetzugänge vor allem im Interesse ihrer Mieter zu schaffen - neue Wertschöpfungspotenziale müssen in Zukunft kreativ erschlossen werden. Damit werden Glasfasernetze auf der NE 4 zu einem Infrastrukturmerkmal des gesamten Gebäudes und zu einem bautechnischen Standard wie eine bestimmte energetische Qualität.
Glasfaser im Eigenausbau: Modernisierungsumlage
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Wenn der Vermieter das NE 4-Glasfasernetz selbst errichten will, steht ab Dezember 2021 dafür auch die klassische Modernisierungsumlage zur Verfügung. Voraussetzung dafür ist, dass neben den offenen Zugängen für Dritte und freien Wahlmöglichkeiten für die Mieter kein Glasfaserbereitstellungsentgelt über die Betriebskosten erhoben wird. Vorteil ist, dass hier 8 % der Investitionskosten pro Jahr ohne Zeitlimit und ohne Begrenzung der Investitionshöhe auf die Nettokaltmiete umgelegt werden können - wenn dies am lokalen Wohnungsmarkt durchsetzbar erscheint und wenn andere Modernisierungskosten die Mietzahlungsfähigkeit der Bestandsmieter nicht überdehnen - was sicher häufiger der Fall sein wird.
Damit dürften sich in der nahen Zukunft deutlich mehr als früher Wohnungsunternehmen für den Eigenausbau ohne Mod.umlage oder Glasfaserbereitstellungsentgelt entscheiden. Zumal es dafür auch noch sehr attraktive spezielle KfW-Förderprogramme gibt, die den investiv nutzbaren Cash Flow nicht belasten. Ganz wichtig: Die Berechnung von Durchleitungs- und Mitnutzungsentgelten im Rahmen des geforderten „Open Access“ in die Hausverteilnetze kann frei von regulatorischen Vorgaben verhandelt werden.
Berechnung von Mitnutzungsentgelten für die NE 4
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Wenn dritte TK-Anbieter (und Mieter) die Offenheit der Netze für sich nutzen und ihre Dienste über die neuen Glasfasernetze der NE 4 zu den Kunden transportieren wollen, stellt sich nun die alles entscheidende Frage: Wie hoch sind diese Entgelte? Dieser stark regulierte und hoch komplexe Bereich des neuen Telekommunikationsgesetzes kann hier nur kursorisch gestreift werden, ist aber zentral für die Entwicklung wirtschaftlich tragfähiger Geschäftsmodelle.
Kostenmaßstab 1: Diese Entgeltbemessung greift bei „alten“ Glasfasernetzen, die vor dem 01.12.21 errichtet wurden: Die Bundesnetzagentur setzt die Entgelte auf der Grundlage der zusätzlichen Kosten fest, die sich durch die Mitnutzung ergeben (identisch mit DigiNetzG). Diese betragen in der Regel nur wenige Cent. Deshalb ist dieser Kostenmaßstab unattraktiv.
Kostenmaßstab 2: Diese Entgeltbemessung greift bei neu errichteten Glasfasernetzen der NE 4 (§149 TKG), wenn weder Glasfaserbereitstellungsentgelt noch eine Modernisierungsumlage zur Refinanzierung genutzt werden, also vor allem im Eigenausbau. Hier gilt das Prinzip Kostendeckung einschließlich einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Im Grunde genommen ist dies gleichbedeutend mit einem dritten Finanzierungsweg für neue Glasfasernetze.
Achtung: Bei der unmittelbaren Integration der Telekommunikations-Gebühren in die Nettokaltmiete bei Neuvermietungen (Inklusivmiete) besteht das Risiko, dass Mieter mit der Opt-Out-Option sofort den Gebührenanteil kündigen und die Kaltmiete reduzieren. Es sollte also immer mitgeteilt werden, welche Bestandteile in der Nettokaltmiete enthalten sind.
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Fazit
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Koaxialnetze verlieren an Bedeutung, spätestens ab 1. Juli 2024. Sie können und werden allerdings weiter genutzt werden - auf rein einzelvertraglicher Basis und ohne Zwangsumlage für die Grundversorgung. Zu erwarten ist ein erbitterter Preiskampf zwischen abgeschriebenen Koaxialnetzen, die durch preiswerte Turbotechnologien bis an ihre physikalische Leistungsgrenze gebracht werden, und den neuen Glasfasernetzen auf der NE 4, die aktuell vor allem Menschen mit hohen Bandbreitenbedarfen nachfragen.
Die bisherigen Gestattungsverträge sind in zwei Jahren nur noch Makulatur, müssen also komplett neu verhandelt werden. Durch die Möglichkeit, eine entschädigungslose Kündigung zum 01.07.24 auszusprechen, entstehen vor allem Nachteile für investierende Kabelnetzbetreiber. Hier sind Rechtsstreitigkeiten zu erwarten und Belastungen für das Verhältnis zwischen Wohnungswirtschaft und Kabelnetzbetreibern.
Insgesamt werden sich Wohnungsunternehmen mehr um das Thema Breitband und Multimedia kümmern müssen. Allerdings können Wertschöpfungspotenziale auf Seiten der Wohnungsunternehmen nur gesteigert werden, wenn diese ihre bislang rein passive Rolle, die sich vor allem auf die Verpachtung von Leitungen beschränkt hat, aufgeben und aktiver werden. Vor jeder Geschäftsmodellentwicklung sollte daher eine klare Definition der eigenen Rolle stehen.
Werterhalt und -steigerung der Gebäude stehen außerdem im Mittelpunkt. Erwartet werden mehr Eigeninvestitionen der Wohnungsunternehmen in die NE 4 mit Glasfasern. Geschäftsmodelle mit echtem Open Access und damit voller Wahlfreiheit der Mieter müssen erst organisiert werden - evtl. zusammen mit den vielen neuen Marktakteuren, die z. T. aus Skandinavien stammen und das Geld angelsächsischer Pensionsfonds mitbringen.
Eine unabhängige Beratung macht gerade in diesem Segment besonders viel Sinn, wollen doch die großen und kleinen Kabelnetzbetreiber, die der Wohnungswirtschaft gerade die Türen einrennen, alle nur eines: Verkaufen und Sie möglichst lange binden.
Erstmalig erschienen in der Zeitschrift netzwerkWohnen 3-2021 des vtw Verband Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft e.V. und der Zeitschrift Wohnen 4-2021 des VdW Bayern
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